Suspendierungen nehmen zu!

Medial gerade besonders präsent ist die österreichweite Zunahme von Suspendierungen an Schulen.

So hat sich die Zahl der Suspendierungen im Schuljahr 2022/23 im Vergleich zu 2018/19 fast verdoppelt, nach einem Corona bedingten zeitweiligen Rückgang in den Jahren 2019-2022 (vgl. www.schule.at vom 6.2.2024).

Die Medien berichten von Gewaltvorfällen an Schulen, problematischen Haltungen und Herabwürdigungen, rassistischen und sexistischen Übergriffen ebenso wie von Ladendiebstählen durch Schulgangs und regelmäßigen Polizeieinsätzen an Schulen.

Tatsächlich ist jedoch die Zunahme der Suspendierungen nicht gleichzusetzten mit einer Zunahme an Gewalt. Die Sensibilität an Schulen gegenüber gewaltvollem Verhalten ist in den letzten Jahren größer geworden, es wird schneller geahndet.

Lehrerinnen und Lehrer fordern Unterstützung durch Timeout-Klassen und Hilfsangebote für Schülerinnen und Schüler, da nicht alle Probleme rund um Gewalt, Hass, Antisemitismus,… in den Bildungseinrichtungen gelöst werden können.  Der Ruf nach außerschulischem Support ist dementsprechend laut, da immer mehr gesellschaftliche Probleme auf die Schulen abgeladen werden. Pädagoginnen und Pädagogen sehen sich zunehmend allein gelassen und von der Fülle der Aufgaben, welche an sie gestellt werden, überfordert. Die Vermittlung von Lernstoff wird hier zur Nebensache bzw. unmöglich, wenn sich Kinder und Jugendliche, ebenso wie das Lehrpersonal, in einer angstbesetzten Umgebung wiederfinden. Nur in einer angstbefreiten, sicheren Umgebung kann man Lernen, kann man Lernstoff motiviert und engagiert vermitteln.

Was genau ist eine Suspendierung überhaupt?

Eine Suspendierung gilt als „Ultima Ratio“, also als letztes Mittel, wenn keine anderen Maßnahmen mehr fruchten und Gefahr in Verzug ist.

Das Gesetzt sieht eine Suspendierung eindeutig als Sicherungsmaßnahme und NICHT als Straf- bzw. Erziehungsmaßnahme vor. Zu Bedenken ist stets, dass eine Suspendierung ein gezielter Ausschluss aus einem sozialen Umfeld ist. Für einen Menschen, der ein soziales Wesen ist, für den „dabei sein“ überlebenswichtig ist, bedeutet dies einen schwerwiegenden Eingriff in sein Leben. Schülerinnen und Schüler werden bewusst isoliert, um die Gefährdung, die von ihnen ausgeht, zu minimieren und Mitschülerinnen und Mitschüler, sowie Lehrpersonen zu schützen.

Leider dürfte es immer noch Schulen geben, an denen dieser Sachverhalt nicht klar ist oder anders gehandhabt wird.

„Wenn ein Schüler seine Pflichten… in schwerwiegender Weise verletzt und die Anwendung von Erziehungsmitteln…oder von Maßnahmen gemäß der Hausordnung erfolglos bleibt oder wenn das Verhalten eines Schülers eine dauernde Gefährdung von Mitschülern oder anderer an der Schule tätigen Personen hinsichtlich ihrer Sittlichkeit, körperlichen Sicherheit oder ihres Eigentums darstellt, ist der Schüler von der Schule auszuschließen. An allgemein bildenden Pflichtschulen ist ein Ausschluss nur zulässig, wenn das Verhalten des Schülers eine dauernde Gefährdung von Mitschülern …darstellt…“ (vgl. https://www.jusline.at/gesetz/schug/paragraf/49, 8.2.2024).

Umgang mit einer Suspendierung

Immer wieder steht man in den Schulen vor dem Problem der korrekten Herangehensweise bei Suspendierungen. Wie soll man mit den suspendierten Schülerinnen und Schülern umgehen? Welche Arbeit ist gegebenenfalls mit der betroffenen Klassengemeinschaft zu tun? Wer spricht mit den Eltern? Woher bekommt das Lehrpersonal Unterstützung? Wie soll die Elternarbeit ausschauen? Ist automatisch die KJH(Kinder-und Jugendhilfe, früher Jugendamt) involviert? Fragen über Fragen…

Auch ich frage mich, wie das Thomas Krebs, der stellvertretende Vorsitzende der Pflichtschullehrergewerkschaft im Ö1-Morgenjournal (5.2.2024) meint, wenn er fordert, dass durch eine Suspendierung kein zusätzlicher Arbeitsaufwand für Lehrerinnen und Lehrer entstehen dürfe… Eine weitere ungeklärte Frage ist zudem, ab wann Pädagoginnen und Pädagogen endlich die Möglichkeit zu einer Supervision bekommen, wenn sie mit besonders herausfordernden Situationen in ihrem beruflichen Alltag konfrontiert werden.

Vor einigen Jahren habe ich mit einer Arbeitsgruppe, bestehend aus Betreuungslehrerinnen und Betreuungslehrern aus dem Zentralraum Linz, einen Leitfaden für den Umgang mit Suspendierungen erstellt. Hier ein kurzer Auszug daraus (stark gekürzte Version):

Eine positive Entwicklung in Folge einer Suspendierung kann gefördert werden durch

  1. Kooperation der Schule mit den Erziehungsberechtigten
  2. Beratungen im Lehrkörper
  3. Pädagogische Arbeit mit der suspendierten Schülerin / dem suspendierten Schüler
  4. Pädagogische Arbeit mit der Klasse
  5. Kommunikation mit den Erziehungsberechtigten
  6. Einbeziehung von (außerschulischen) Institutionen wie Kinder- und Jugendhilfe, Schulpsychologie, anderen psychologischen, pädagogischen, therapeutischen und medizinischen Einrichtungen

Die Intensität der Maßnahmen ist unter anderem abhängig von der Dauer der Suspendierung und der schon bisher involvierten Personen und Institutionen.

1.) Kooperation der Schule mit den Erziehungsberechtigten: Kontaktaufnahme der Schule mit den Erziehungsberechtigten, Möglichkeiten der Unterstützung der Schülerin / des Schülers, Möglichkeiten der Unterstützung der Erziehungsberechtigten.

2.) Beratungen im Lehrkörper: was ist passiert, braucht es Krisenintervention oder kollegiale Beratung, Supervision, Gespräche mit der Schulleitung oder Beratung bei der Schulpsychologie, außerschulische Institutionen für betroffene Lehrkräfte? Welche Unterstützungsmaßnahmen für die Schüler/innen wurden bisher schon ergriffen, …

3.) Mögliche Themen der pädagogischen Arbeit mit der suspendierten Schülerin/dem suspendierten Schüler können sein:

  • Persönliche Begleitung während der Suspendierung: Rahmen festlegen für persönliche Begegnungen, Aufarbeitung des auslösenden Ereignisses, Umgang mit den eigenen Emotionen, Selbstreflexion, Einsicht gewinnen, Verantwortung für das eigene Handeln übernehmen, Handlungsalternativen erarbeiten, Vorbereitung der Wiederaufnahme in die Klassengemeinschaft,…
  • Persönliche Begleitung bei der Rückkehr in den Klassenverband: gegebenenfalls (öffentliche) Entschuldigungen, gegebenenfalls Aussprache mit involvierter Lehrkraft,…
  • Persönliche Begleitung nach der Suspendierung und Reflexion

4.) Mögliche Themen der pädagogischen Arbeit mit der Klasse:

Idealerweise findet die Arbeit mit der Klasse in Abstimmung mit der persönlichen Arbeit mit der suspendierten Schülerin /dem suspendierten Schüler (eventuell auch durch dieselbe/n Person/en) statt.

      Während der Suspendierung: Aufarbeitung des Vorfalls, Vorbereitung der Wiederaufnahme in die Klassengemeinschaft, wer kann was für eine gute Zukunft in der Klasse beitragen, …

      Rückkehr in die Schule: gegebenenfalls (öffentliche) Entschuldigung, Beziehungsgeste zur Klasse/Lehrkraft/…
      Nach der Suspendierung: Reflexion, weitere Fördermaßnahmen mit präventivem Charakter, Soziales Lernen, Konfliktbearbeitungsmodelle einführen und üben …

5.) Kommunikation mit den Erziehungsberechtigten

6.) Einbeziehung (außerschulischer) Institutionen wie Kinder- und Jugendhilfe z.B. Schulsozialarbeit, Schulpsychologie, pädagogische, therapeutische und medizinischen Einrichtungen.

Situation an oberösterreichischen Schulen

Tatsächlich wurden in den letzten Jahren in Oberösterreich Schulsozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter von Schulen abgezogen bzw. deren Präsenzzeiten an den sogenannten „Schwerpunktschulen“ eher reduziert als aufgestockt. Während der Coronapandemie wurden sie sogar in manchen Gebieten von den Schulen abgezogen und für die Coronatestungen eingesetzt. An den Schulen konnte man darüber nur ungläubig die Köpfe schütteln.

Nachdenklich macht auch, dass im oberösterreichischen Zentralraum in den letzten Jahren die mobilen Betreuungslehrerinnen und Betreuungslehrer auf etwa ein Viertel reduziert wurden. Sie wurden, begründet durch den massiven Lehrerinnen- und Lehrermangel, zu Dauersupplierungen eingesetzt. -Eben jene Pädagoginnen und Pädagogen wurden also abgezogen, welche aufgrund ihrer zusätzlichen Qualifikationen von Schulen zur Unterstützung bei sozial-emotionalen Schwierigkeiten einzelner Jugendlicher bzw. Schülerinnen und Schüler angefordert werden konnten.

Mittlerweile machen diese zusätzliche pädagogische Arbeit die Schulen in den meisten Fällen wieder selber, ohne Unterstützung von außen. Medial werden die Betreuungslehrerinnen und Betreuungslehrer nicht mal mehr erwähnt, sei nebenbei bemerkt.

Die Anzahl der Schulpsychologinnen wurde zwar erhöht, aber auch diese können den steigenden Forderungen nach Unterstützung alleine nicht gerecht werden.

Findet jetzt ein Umdenken statt? Der Druck der Direktorinnen und Direktoren, der Lehrerinnen und Lehrer und der Eltern auf die Verantwortlichen der Bildungsdirektionen wächst…

Die Politik erkennt offenbar, dass Schule nicht nur Bildungs-sondern auch soziale Arbeit leistet, dem wolle man begegnen.

In Wien werden die Eltern von suspendierten Schülerinnen und Schülern in Zukunft von Schulsozialarbeiterinnen oder von Schulpsychologinnen zu einem verpflichtenden Gespräch bestellt, um die Wiedereingliederung in den Klassenverband zu besprechen bzw. eine erneute Suspendierung zu vermeiden. Falls die Eltern das Gespräch verweigern, endet, laut Bildungsdirektion, die Zuständigkeit der Schule, eine Gefährdungsmeldung muss gemacht werden.  Die KJH (Kinder- und Jugendhilfe) tritt dann auf den Plan.

Auch in den anderen Bundesländern werden Gespräche mit den Eltern geführt, manchmal unter Einbeziehung von Schulsozialarbeiterinnen, manchmal im Beisein von Betreuungslehrerinnen oder Betreuungslehrern, manchmal sind Schulpsychologinnen dabei. Ziel sollte immer die möglichst strukturierte Rückführung der betroffenen Schülerinnen und Schüler in den Klassenverband sein.

Die Möglichkeit zur Wiedergutmachung wäre wünschenswert, ebenso wie die Begleitung der Kinder und Jugendlichen während ihrer Suspendierung. Aus Gründen von Personalmangel, Überforderung oder Unkenntnis werden diese begleitenden, dringend notwendigen Maßnahmen jedoch häufig nicht gesetzt. Nicht selten kommt eine suspendierte Schülerin oder ein suspendierter Schüler nach drei Wochen „schulfrei“ völlig ohne Unterstützung seitens der Schule wieder zurück in den Klassenverband.

Was bleibt: die Frage nach dem Warum…

Diese stellt sich natürlich sehr schnell, doch lässt sie sich diese weder schnell noch einfach erklären, denn verschiedene Ursachen werden im Zusammenhang mit Gewalt an Schulen immer wieder genannt.

Einerseits machen sich die Krisen der vergangenen Jahre und der Gegenwart bei den Kindern und Jugendlichen bemerkbar. Von der Pandemie ausgehend, welche manche jungen Menschen in einen Ausnahmezustand, in Isolation und Verzweiflung gestürzt haben und ein Defizit an sozialen Kompetenzen entstehen ließ.

Hand in Hand mit der Isolation ging der massive Zuwachs an online Spielen, häufig ist die Nutzung der Spiele Ersatz für „echtes“ Leben und Erleben, ebenso wie für „echte“ Freundschaften und Beziehungen. Speziell für jüngere Kinder, die die online Medien exzessiv nützen, wird es zunehmend schwieriger, zwischen Realität und Fiktion zu unterscheiden.

Andererseits haben viele Gewalttäterinnen und Gewalttäter selber Erfahrungen mit Mobbing, Traumata oder schwierige familiäre Verhältnisse, häufig auch in Verbindung mit häuslicher Gewalt.

Erkenntnis

Was bleibt ist die Erkenntnis, dass bei dem Thema „Suspendierung“ besonders wenig Schwarz-Weiß-Denken angebracht ist. Herausforderungen, wohin das Auge blickt, Unterstützungsbedarf an allen Linien.

Und junge Menschen, die uns brauchen.

Uns Erwachsene, die professionell agieren, die ihr Bewusstsein ebenso geschult haben wir ihr Wissen, ihre Empathie und ein offenes Herz für jene haben, die es besonders brauchen, frei nach einem Zitat der amerikanischen Schriftstellerin Helen Keller:

 „Liebe mich dann am meisten, wenn ich es am wenigsten verdient habe, denn dann brauche ich es am nötigsten.“

Beratungstermin vereinbaren

Sie buchen ein kostenloses 30-minütiges Erstgespräch.