„Ich koche vor Wut!“ – „… dann rastet er komplett aus.“ – „… dann ist sie von Null auf Hundert in wenigen Sekunden.“
Schon die Wörter in diesen Redewendungen beschreiben, was in uns vorgeht, wenn uns die Wut packt. Und auch diese Aussage „mich packt die Wut“ lässt die scheinbare Ohnmacht erahnen, die uns in so einer Situation zu beherrschen scheint. Doch ist es wirklich Ohnmacht? Können wir gar nichts tun, wenn wir wütend werden? Wie geht es unseren Kindern, wenn sie wütend werden?
Darf ich wütend sein?
Gesellschaftlich ist Wut wenig akzeptiert und wenn, dann eher bei Männern als bei Frauen. Wenn ein Mann seiner Wut freien Lauf lässt, gilt er eher als leidenschaftlich. Eine wütende Frau wird schnell als hysterisch abgestempelt. Das manifestiert sich schon im Kindesalter. Bei Buben toleriert man Wutausbrüche wesentlich öfter als bei Mädchen.
Dies soll kein Artikel über genderneutrale Erziehung werden, daher werde ich noch ein paar Schritte zurückgehen. Jede und jeder von uns hat schon Wut verspürt und vermutlich auch schon den einen oder anderen Wutausbruch selbst erlebt. Was aber passiert in uns, wenn wir wütend werden? Warum eskalieren manche Menschen schneller und was können wir dagegen tun?
Wut ist ein Gefühl, das in uns entsteht wie Trauer oder Angst. Der Umgang mit unseren Gefühlen will genauso gelernt sein, wie viele andere unserer Fähigkeiten. Gefühle erkennen, benennen können und angemessen darauf zu reagieren. Das heißt, wir müssen darüber reden und uns selbst aus einer anderen Perspektive betrachten lernen. Das funktioniert allerdings nur, wenn wir nicht gerade in dieser Emotion stecken. Selten fühlen wir nur ein Gefühl, meist ist es ein Zusammenspiel mehrerer Gefühle und wir springen zwischen den Gefühlen hin und her. Die Übergänge sind fließend.
Gefühle und Bedürfnisse sind eng miteinander verknüpft
Dazu kommt, dass unsere Gefühle stark mit unseren Bedürfnissen zusammenhängen. Ich weiß zum Beispiel, dass ich besonders dünnhäutig werde, wenn ich müde oder hungrig bin. Das heißt, wenn eines oder mehrere meiner physischen Grundbedürfnisse zu lange unbeachtet bleiben. Dann kann es schon sein, dass ich auf Belangloses gereizt reagiere. Manchmal sind es auch wirklich banale Dinge, die sich dann als wahre Wut Trigger herausstellen. Bei Kinder sind das besonders Erfahrungen wie Ablehnung, entgegengebrachtes Unverständnis oder nicht erfüllte Erwartungen, die das Gefühl von Wut auslösen. Manche Kinder reagieren mit Trauer. Sie weinen, erzählen schluchzend was sie verletzt hat, und man kann sie trösten. Reagiert ein Kind aber mit Wut und schleudert verärgert ein Spielzeug durch den Raum, kann es weniger mit unserer Unterstützung rechnen. Wenn Wut in aggressives Verhalten umschlägt, erfährt das Kind häufig noch mehr Ablehnung oder Unverständnis. Die Abwärtsspirale beginnt sich zu drehen.
Wie aber kann man diese Spirale durchbrechen oder verhindern, dass es so weit kommt? Die Energie, die durch Wut freigesetzt wird, ist an sich wichtig. Sie bringt und ins Handeln. Wir möchten etwas an der Situation ändern. Erst wenn wir merken, dass unsere Bemühungen nicht zielführend sind, steigt die Frustration. Natürlich wissen wir, dass zum Beispiel unser Fluchen im Auto den Lenker vor uns nicht schneller macht, doch erhoffen wir uns emotionale Entlastung, wenn wir laut werden und auf unser Lenkrad boxen. Ein Kind kann dies in einer belastenden Situation nicht analysieren. Daher müssen wir aufmerksam sein und den Augenblick erkennen, bevor die Frustration zu groß wird. Es ist wichtig, dem Kind zu signalisieren: Ich bin für dich da. Du bist mir wichtig. Ich helfe dir, durch eigene Kraft aus der Situation herauszukommen.
Haltung und Handlungskompetenz
Durch diese Haltung lernt das Kind die eigene Frustrationstoleranz zu steigern und die Energie der Wut produktiv umzusetzen. Es hat sich als kontraproduktiv herausgestellt, wenn man wütenden Kindern (aber auch Erwachsenen) die Möglichkeit gibt, sich abzureagieren. Schreien, wütend auf einen Boxsack einschlage usw. erschöpfen das Kind zwar körperlich, es ändert aber nichts am Umgang mit Wut und Frustration. Welche Handlungsalternativen gibt es?
Man kann schon sehr früh damit beginnen, über Gefühle zu sprechen und Kindern helfen, die Signale des Körpers zu erkennen und zu benennen. Was passiert in deinem Körper, wenn du dich freust? Wie verändert sich dein Gesicht? Wo spürst du die Freude noch? Usw. Genauso können wir mit den anderen Basisemotionen wie Angst, Trauer, Wut und Scham verfahren. Dazu bieten sich neben Gesprächen auch Rollenspiele oder Spiele mit Handpuppen an. Außerdem kann man den Kindern auch helfen zu erkennen, auf welche Wut Trigger sie besonders stark reagieren. „Wenn die Lehrerin meinen Namen falsch ausspricht.“ oder „Wenn mein Banknachbar ungefragt meine Stifte nimmt.“
Wut ist stark und hilfreich für Veränderung
Eine Abstufung anhand einer Wut Skala kann dem Kind auch helfen, mit dem Gefühl umgehen zu lernen. Angelehnt an die Metapher „… von Null auf Hundert …“ könnte man eine Skala von Null bis Hundert nutzen, um im Gespräch mit dem Kind die verschiedenen Situationen zu klassifizieren. Und man kann anhand dieser Skala auch Strategien entwickeln, aus der Wut rauszukommen. Bis zu welchem Punkt kann man noch vernünftig reden? Ab wann braucht man erst Abstand, um abzukühlen?
Wut ist ein wichtiges und starkes Gefühl. Sie zu unterdrücken hilft uns nicht. Die Kraft der Wut sinnvoll zu nutzen, um Änderungen zu erwirken, so können wir die Wut zu einem hilfreichen Gefühl machen.