Trauer empfinden wir dann, wenn wir etwas verlieren. Es kann der Verlust eines Arbeitsplatzes sein, der Abschied nach der gemeinsamen Schulzeit oder auch das Ende einer Beziehung. Besonders starke Trauer spüren wir nach dem Tod eines geliebten Menschen. Dabei betrauern wir den Verlust der gemeinsamen Zukunft mit diesen Menschen.
Meine erste intensive Erinnerung an Trauer war als mein Großvater starb. Ich war zehn Jahre alt. Es ging ihm seit einigen Wochen nicht besonders gut und ich war dabei, als er von einem Krankenwagen abgeholt wurde. Ich wollte ihn zum Abschied umarmen. „Das nächste Mal, wenn es mir wieder besser geht.“, meinte er und die Sanitäter schoben die Trage in den Krankenwagen. Eine Woche später läutete um zwei Uhr nachts das Telefon. Er war gestorben. Zur Beerdigung durften wir Kinder nicht mit. Erst einige Wochen später besuchten wir sein Grab mit dem Holzkreuz. Geredet wurde nicht viel. Ich spürte die Trauer meiner Mutter und meiner Großmutter, doch jedes Mal, wenn wir Kinder uns ihnen zuwandten, trockneten sie ihre Tränen und versuchten zu lächeln.
Der Tod und das Leben
Seit vielen Jahrtausenden gestaltet der Mensch den Abschied der Verstorbenen. In allen Kulturen und Religionen finden sich feste Bräuche zu Sterben und Tod. Sie helfen uns durch die Trauer, wenn wir den Boden unter den Füßen verlieren. Durch die aufgeklärte Welt und die Entfernung von Religionen haben wir jedoch ein Stück weit diese Rituale und damit diesen Halt verloren. Beim Tod eines nahen Angehörigen bekommt man 3-4 Tage Sonderurlaub, um die Angelegenheiten rund um die Beerdigung abzuwickeln. Danach hat man zu funktionieren. Wer länger Zeit braucht muss sich krankschreiben lassen. Man erhält Kondolenzkarten, sollte aber möglichst niemanden mit seiner Trauer belästigen.
Bis zur Mitte des letzten Jahrhunderts war der Tod im Alltag viel gegenwärtiger. Die Erinnerungen an die Weltkriege waren frisch. Jede Familie hatte mindestens einen geliebten Menschen verloren. Die Kindersterblichkeit war noch höher und man starb an Krankheiten, die heute leicht zu heilen sind. Der Tod wurde weniger als Einzelschicksal, sondern mehr als Teil des Lebens wahrgenommen. Heute verdrängen wir den Tod immer mehr aus unserem Leben und lassen ihn doch täglich medial in unsere Wohnzimmer. Durch Krimis, Videospiele und die grausamsten Nachrichten haben wir den Tod permanent vor Augen und doch berührt uns dieser Tod nicht. Sterbende Menschen werden in Heime und Krankenhäuser verbannt.
Wie lernen Kinder mit Trauer umzugehen?
Wie bei allen Gefühlen sind wir die Vorbilder für unsere Kinder. Verdrängen wir Trauer, sprechen nicht darüber, schließen Kinder davon aus, so lernen sie nicht damit umzugehen. Wir denken, so können wir unsere Kinder davor schützen. Doch in Wirklichkeit lassen wir sie mit ihrer Trauer alleine. Auch daher gesagte Floskeln wie: „Seit nicht traurig.“ oder „Die Zeit heilt alle Wunden.“ sind nicht hilfreich.
Erleben wir Tod und Trauer in der Familie, sollten wir dem Alter der Kinder entsprechend damit umgehen. Anstatt dieses Gefühl zu verharmlosen, durch gekünstelte Fröhlichkeit zu überspielen oder durch Ablenkungsversuche zu betäuben, sollten wir gemeinsam mit unseren Kindern dieses Gefühl wahrnehmen und benennen: „Ich bin traurig, weil Opa gestorben ist.“ Ich persönlich finde Ausdrücke wie „Opa ist eingeschlafen.“ Oder „Opa ist von uns gegangen.“ eher unpassend. Es kann sein, dass Ihr Kind dann denkt, dass es auch im Schlaf sterben kann oder die Folgefrage auftaucht: „Wohin ist Opa denn gegangen?“
Wenn ihr Kind sagt, dass es traurig ist, können Sie mit Fragen wie „Wo spürst du diese Traurigkeit?“, „Hat deine Traurigkeit eine Farbe?“ Trauer etwas „begreifbarer“ machen. Auch andere Gefühle, die in Zeiten der Trauer auftauchen, sollte man benennen.
Lassen wir Trauer zu, ermöglicht es uns zu spüren, dass diese Traurigkeit nachlassen kann. Auch dieses Nachlassen können wir gemeinsam bewusst erleben. Das gibt uns beim nächsten Mal die Gewissheit, dass wir dieses Gefühl aushalten können und dass es wieder leichter werden wird.
Was sagt die Wissenschaft?
Wer sich mit Tod und Trauer zu beschäftigen beginnt, kommt nicht um den Namen Elisabeth Kübler-Ross herum. In den 70er Jahren hat die Psychologin die „Fünf Phasen der Trauer“ entwickelt. Sie griff eine Idee Sigmund Freuds auf, wonach man durch „Trauerarbeit“ und einer systematischen Behandlung von Trauersymptomen Trauer rasch überwinden kann. Je schneller, desto besser. Wer zu lange trauere, dem wurde krankhafte Trauer attestiert.
Vor etwa 30 Jahren schlug die Wissenschaft andere Wege ein. Die neueren Trauermodelle beschäftigen sich auf der einen Seite mit der Verarbeitung des Verlustes, dem Abschied nehmen, dem nach innen gerichteten Gefühlen, der Verleugnung und auf der anderen Seite mit der Neuausrichtung, der Orientierung in einem Leben ohne der verstorbenen Person und der Akzeptanz. Dabei geht es nicht mehr darum in vorgegebener Reihenfolge bestimmte Phasen zu durchlaufen, sondern mehr um ein Hin- und Herpendeln zwischen Phasen der tiefen Trauer und ihren Begleiterscheinungen und den dem neuen Leben zugewandten Phasen von Normalität bis Freude.
Ein neunjähriges Mädchen, dessen kleiner Bruder vor einigen Monaten verstoreben war, berichtete mir in meiner Praxis: „Ich bin so gerne mit Julia befreundet, denn sie versteht mich. Auch ihr kleiner Bruder ist gestorben und sie weiß, dass man manchmal ganz traurig ist aber dann auch wieder ganz glücklich sein kann.“
Was beeinflusst, wie wir trauern?
Wie nahe stand uns die verstorbene Person? Unter welchen Umständen ist sie gestorben? Wie alt war sie? Wie haben wir Tod und Trauer in unserer Familie erlebt? Wie sehr war sie mit meiner Lebenswelt verbunden? Diese und viele andere Fragen beeinflussen unsere Trauer. So kann uns der Tod eines Sportidols genauso zu Tränen rühren, wie der Unfalltod eines Teenagers, den wir kaum kannten.
Was wir persönlich als hilfreich empfinden, können wir als Trauernde nur selbst beantworten. Wichtig zu wissen ist, dass bei Trauer keine Rezepte helfen und dass es keine zeitliche Abfolge der Verarbeitung gibt. Als mein Vater in einem Pflegeheim war, spazierte meine Mutter ein bis zwei Mal täglich dahin, um ihn zu besuchen. Es war jeweils ein Spaziergang von etwa 20 Minuten. Als er starb spazierte sie für einige Wochen weiterhin täglich diesen Weg. Jedes Jahr zu seinem Geburtstag treffen wir uns an seinem Grab und gehen hinterher gemeinsam ein Bier trinken. Durch solche Rituale fühlen wir uns unseren Verstorbenen nahe und nehmen sie mit in unser neues Leben.
Auch mit Kindern kann man Rituale entwickeln, die ihnen helfen mit ihrer Trauer umzugehen und dieses Gefühl als Teil des Lebens zu erleben. Auch wenn uns der Tod einen geliebten Menschen nimmt, so bleibt die Liebe zu diesem Menschen.