Sobald wir auf der Welt sind, werden wir vermessen und gewogen und unsere Werte mit Normen verglichen. Junge Eltern vergleichen nicht nur den Entwicklungsfortschritt ihres Kindes mit dem anderer Kinder, auch die perfekte Babyausstattung oder die Frühförderung der Kleinen muss auf permanent hohem Niveau gehalten werden. Im Kindergarten und erst recht in der Schule wird der Vergleich fortgesetzt und anhand von Noten dokumentiert. Im Alltag machen wir mit dem Vergleichen freiwillig oder unfreiwillig weiter.
In den soziale Medien finden wir ohne Ende Vorbilder, mit denen wir uns messen können. Beruflicher Erfolg, Schönheit, Sportlichkeit – zu jedem Thema findet man Menschen, die uns zeigen, wie wir noch erfolgreicher, schlanker oder muskulöser werden können. Ratgeber mit dem Titel: „Be a better you“, „Beat yesterday“ oder „Jeden Tag 1% besser“ fordern uns auf, sich mit uns selbst zu vergleichen und uns dann ins scheinbar Unermessliche zu verbessern. Nach außen präsentieren wir uns bestmöglich, damit wir im Vergleich stets gut abschneiden.
Warum vergleichen wir uns mit anderen?
Anscheinend liegt das Vergleichen in unserer DNA, dennoch macht es uns nicht immer glücklich. „Das Vergleichen ist das Ende des Glücks und der Anfang der Unzufriedenheit.“, stellte schon Søren Kierkegaard fest. Warum tun wir es dann? Wann ist ein Vergleich hilfreich und wann schädlich?
Betrachten wir einmal das Spannungsfeld zwischen einer freien kreative Entwicklung, dem Selbst sein, eigene Wege gehen auf der einen Seite und der Lust am sich Messen, an Herausforderungen und mit anderen in den Wettbewerb treten auf der anderen Seite.
Durch Beobachtung und Nachahmung lernen wir. Ob das Bilden von Lauten, die später zur Sprache werden, das Ablesen und Interpretieren von Mimik und Gestik oder das Nachmachen von Handlungsabfolgen, wir schauen gerne ab. Wenn wir klein sind, laufen diese Programme instinktiv ab. Wir erkennen uns noch nicht als unabhängige Wesen. Wir sind eins mit unserer Bezugsperson, meist der Mutter. Erst mit etwa zwei Jahren erkennt das Kind sich selbst im Spiegelbild und es wird bis zum Schuleintritt dauern, bis man von einem Selbstkonzept sprechen kann.
Bis dahin schauen wir zu, ahmen nach, versuchen Neues und scheitern oft. All das empfinden wir als normal. Wir würden nie gehen lernen, wenn wir vorher wüssten, dass wir tausend Mal hinfallen werden. Scheitern ist für uns selbstverständlich. Wir erleben es nicht als Fehler.
„Der Mensch wird am Du zum Ich“ (Martin Buber)
Voraussetzung für eine gesunde Entwicklung des Selbstkonzepts ist der Austausch mit anderen. Ohne die Rückschlüsse, die wir aus der Reaktion unserer Umgebung auf unser Verhalten ziehen, können wir kein Selbstkonzept entwickeln. Darin liegt die Funktion des sich Vergleichens.
Der Begriff Selbstkonzept beschreibt die Kombination aus dem Bild, das ich von mir selbst habe, gemessen an den Werten, die mir wichtig sind und den Gefühlen, die all das in mir auslösen. Warum ich welche Entscheidungen treffe oder was meine Identität ausmacht. Das Selbstkonzept ist im Laufe des Lebens wandelbar.
Spätestens mit dem Eintritt in unser Bildungssystem erleben wir, dass Fehler machen ein Makel ist. Fehler werden gezählt, man wird an ihnen gemessen und nach ihnen bewertet. Wer viele Fehler macht, ist schlecht. Man schämt sich dafür. Keiner will mangelhaft oder fehlerhaft sein. Wir werden Vergleichen ausgesetzt oder setzen uns selbst diesen Vergleichen aus, bei denen wir ständig schlecht abschneiden. Unsinnige Rankings, unerreichbare oder unrealistische Vorbilder setzen uns und unsere Kinder permanent unter Druck.
Unser Umfeld, dazu zähle ich auch alle Arten von Medien, bieten uns nonstop Möglichkeiten uns zu messen. Werbung setzt bewusst auf diese Verlockungen und produziert so ein ewiges Gefühl des Mangels.
Wie können wir uns und unsere Kinder vor diesem Ritt ins Unglück schützen?
Kierkegaard selbst war ein zerrissener Mensch, von Selbstzweifel gequält. Was wäre, wenn das Vergleichen auch eine Chance auf Glück ist? Vielleicht hätten ihm folgende Gedanken geholfen:
Sich mit anderen zu vergleichen, deutet auf einen möglichen Mangel hin. Diesen Mangel kann ich erforschen. Welches unerfüllte Bedürfnis steht hinter dem Mangel? Wie kann ich dieses Bedürfnis für mich noch erfüllen? Was ist dafür notwendig und wer kann mich darin unterstützen?
Ich möchte das anhand des folgenden Beispiels verdeutlichen: Ihr Kind (8 Jahre) kommt von der Schule nach Hause und ist schlecht gelaunt. Sie fragen nach, was los ist. „Alle in meiner Klasse haben ein Handy, nur ich nicht.“ Sie können Ihrem Kind sofort ein Handy kaufen oder mit Ihrem Kind die Notwendigkeit eines Handys für ein Kind von 8 Jahren diskutieren. Sie werden diese Diskussion verlieren, denn sie werden immer ein Argument weniger finden als Ihr Kind, denn das hat das ultimative Argument: „Aber ich will auch ein Handy!“
Welches Bedürfnis steht jedoch hinter dem: „Aber alle haben …“? – Ihr Kind will dazugehören. Die Zugehörigkeit zu einer Gruppe ist eines unserer Grundbedürfnisse. Überlegen Sie, wie Sie das Zugehörigkeitsgefühl Ihres Kindes noch anders erfüllen können. Zum Beispiel durch gemeinsame Unternehmungen oder Freizeitaktivitäten oder auch Einladungen zum Spielen. Bleiben Sie in gutem Kontakt mit Ihrem Kind, nehmen Sie seine Gefühle und Bedürfnisse wahr, ohne jedem vordergründigem Wunsch sofort nachzugeben. Wenn Sie das gemeinsam durchleben, wird nicht nur Ihre Beziehung gestärkt, Ihr Kind lernt auch, dass Zugehörigkeit nicht von Statussymbolen abhängig ist.
Wenn wir bei jedem Vergleich sofort versuchen das augenscheinliche Ziel zu erreichen, weil wir in ihm das Glück erhoffen, wird das tatsächlich eine Reise ins Unglück. Meist sind es Bedürfnisse wie Zugehörigkeit, Anerkennung oder Selbstverwirklichung, die dahinter stehen. Das Vergleichen kann unser Antrieb sein immer wieder Neues über uns zu lernen. Wir können unser Selbstkonzept formen, eigene Wege gehen und unsere eigene Entwicklung vorantreiben. Jede/r von uns ist so einzigartig wie ein Blatt. Es gibt uns nur einmal.